Zusammenfassung
Nach einem Unfall können Geschädigte selbst entscheiden, ob sie ihr Auto reparieren lassen oder sich den Schaden in Geld auszahlen lassen. Diese Auszahlung nennt man fiktive Abrechnung. Sie basiert auf einem Gutachten, das den Schaden und die Reparaturkosten genau beziffert, auch wenn keine Reparatur stattfindet.
In diesem Artikel erklären wir einfach, was das bedeutet, wann es sich lohnt und worauf Sie achten müssen. Wir teilen auch unsere Erfahrungen als Kölner Kfz Gutachter aus vielen echten Fällen.
Was ist eine fiktive Abrechnung?
Bei einer fiktiven Abrechnung erhalten Sie das Geld für den Schaden an Ihrem Auto, ohne dass Sie es reparieren lassen müssen. Grundlage ist das Gutachten eines unabhängigen Kfz Sachverständigen, das genau festhält, wie groß der Schaden ist und welche Kosten für eine Reparatur entstehen würden.
Das Gegenteil davon ist die konkrete Abrechnung. Dabei reichen Sie die tatsächliche Reparaturrechnung bei der Versicherung ein.
Beispiel aus unserer Erfahrung
Viele unserer Kunden in Köln entscheiden sich für die fiktive Abrechnung, wenn sie kleine bis mittlere Schäden haben zum Beispiel eine zerkratzte Stoßstange oder eine Delle im Kotflügel. Oft wollen sie das Geld lieber behalten oder die Reparatur später selbst durchführen.
Wann ist eine fiktive Abrechnung möglich und sinnvoll?
Eine fiktive Abrechnung ist immer dann möglich, wenn Sie bei einem Unfall keine Schuld tragen.
In diesem Fall zahlt die gegnerische Haftpflichtversicherung Ihren Schaden – und Sie dürfen selbst entscheiden, ob Sie reparieren oder sich das Geld auszahlen lassen.
Das lohnt sich in vielen Situationen – besonders dann, wenn Sie flexibel bleiben oder bares Geld sparen möchten.
Typische Fälle, in denen sich eine fiktive Abrechnung lohnt
1. Wirtschaftlicher Totalschaden
Wenn die Reparatur teurer ist als der aktuelle Wert des Autos, spricht man von einem wirtschaftlichen Totalschaden.
In diesem Fall erhalten Sie den Wiederbeschaffungswert minus Restwert – also das, was Sie für ein vergleichbares Fahrzeug am Markt zahlen müssten, abzüglich des Betrags, den Ihr beschädigtes Auto noch wert ist.
➡️ Beispiel: Das Auto ist 8.000 Euro wert, die Reparatur würde 9.000 Euro kosten, der Restwert liegt bei 1.000 Euro – Sie bekommen 7.000 Euro ausgezahlt.
2. Ältere Fahrzeuge
Bei älteren Autos lohnt sich eine Reparatur oft nicht mehr – besonders, wenn die Kosten den Fahrzeugwert fast erreichen.
Viele unserer Kunden entscheiden sich dann für die fiktive Abrechnung, um das Geld anderweitig zu nutzen oder kleinere Schäden selbst zu beheben.
➡️ Beispiel: Sie bekommen 2.000 Euro ausgezahlt, reparieren die Delle selbst für 500 Euro und behalten den Rest.
3. Leasingfahrzeuge
Bei Leasingautos ist eine fiktive Abrechnung nur mit Zustimmung des Leasinggebers möglich, da das Fahrzeug ihm gehört.
In manchen Fällen verlangt der Leasinggeber eine fachgerechte Reparatur in einer Partnerwerkstatt.
Unser Tipp: Lassen Sie sich vorher schriftlich bestätigen, ob Sie fiktiv abrechnen dürfen.
4. Freie Werkstattwahl
Sie dürfen den Schaden auf Basis der Preise einer markengebundenen oder freien Werkstatt abrechnen.
Allerdings darf die Versicherung bei älteren Autos auf günstigere freie Werkstätten verweisen – das hängt vom Alter und Zustand des Fahrzeugs ab.
➡️ Beispiel: Bei einem drei Jahre alten Audi dürfen Sie meist noch mit Audi-Stundensätzen abrechnen, bei einem zwölf Jahre alten Golf kann die Versicherung auf eine freie Werkstatt verweisen.
5. Kleinere Schäden oder Kratzer
Wenn nur die Stoßstange, ein Kotflügel oder eine Tür betroffen ist, kann sich eine Reparatur oft gar nicht lohnen.
Sie erhalten den Nettobetrag laut Gutachten und können selbst entscheiden, ob Sie den Schaden reparieren oder das Geld behalten.
6. Wenn Sie das Auto bald verkaufen möchten
Viele Halter möchten ihr Auto nach einem Unfall verkaufen.
Mit einer fiktiven Abrechnung können Sie sich den Schadenwert sichern und den Wagen danach günstiger oder unrepariert verkaufen.
Wichtig: Ein Gutachten dokumentiert den Schaden, sodass Sie beim Verkauf ehrlich bleiben können, ohne Geld zu verlieren.
7. Wenn Sie das Auto selbst reparieren können
Manche Kunden sind handwerklich geschickt oder kennen jemanden, der günstig repariert.
Mit der fiktiven Abrechnung bekommen Sie das Geld für die professionelle Reparatur, dürfen sie aber privat günstiger durchführen.
➡️ Beispiel: Das Gutachten schätzt 3.500 Euro, Sie reparieren selbst für 1.000 Euro – die Differenz bleibt bei Ihnen.
8. Wenn Sie den Schaden erst später beheben wollen
Vielleicht brauchen Sie das Auto sofort wieder und möchten die Reparatur aufschieben.
Die fiktive Abrechnung gibt Ihnen die Freiheit, den Zeitpunkt selbst zu wählen.
Sie können das Geld zurücklegen und die Reparatur später durchführen lassen.
9. Bei zusätzlicher Wertminderung
Auch bei einer fiktiven Abrechnung wird die merkantile Wertminderung berücksichtigt, also der Wertverlust, den das Auto erleidet, weil es nun als Unfallfahrzeug gilt.
Das ist besonders bei neueren Autos relevant und kann mehrere hundert Euro zusätzlich bringen.
Wann eine fiktive Abrechnung nicht sinnvoll ist
Wenn Sie ohnehin eine vollständige Reparatur in einer Werkstatt planen.
Wenn das Fahrzeug geleast oder finanziert ist und der Vertrag eine Reparatur vorschreibt.
Wenn Sie den Unfall mitverursacht haben. Dann trägt Ihre eigene Versicherung den Schaden, und fiktive Abrechnung ist meist nicht erlaubt.
Welche Schadenspositionen werden berücksichtigt?
Bei einer fiktiven Abrechnung gelten grundsätzlich dieselben Schadenspositionen wie bei einer tatsächlichen Reparatur – nur ohne Mehrwertsteuer.
Das bedeutet: Alles, was im Gutachten steht und für die Wiederherstellung des Fahrzeugs nötig wäre, darf abgerechnet werden.
Hier sind alle wichtigen Positionen im Überblick:
1. Reparaturkosten laut Gutachten
Das ist der Hauptteil der Abrechnung.
Der Gutachter schätzt die Arbeitszeit, Ersatzteile und Lackierarbeiten, die nötig wären, um den Schaden zu beheben.
➡️ Beispiel: Austausch der Stoßstange, Lackierung und Arbeitszeit in der Werkstatt – 2.800 Euro netto.
2. Merkantile Wertminderung
Auch wenn das Auto repariert wird, verliert es an Wert, weil es nun als Unfallwagen gilt.
Der Gutachter berechnet diesen Wertverlust – meist abhängig von Alter, Laufleistung und Schadenshöhe.
➡️ Beispiel: Bei einem drei Jahre alten BMW kann die Wertminderung 300 bis 700 Euro betragen.
3. Nutzungsausfallentschädigung
Wenn Sie Ihr Auto wegen des Unfalls vorübergehend nicht nutzen können, steht Ihnen eine Entschädigung zu.
Diese richtet sich nach einem Tagessatz, der vom Fahrzeugtyp abhängt (zum Beispiel 35 bis 95 Euro pro Tag).
➡️ Beispiel: Ihr Wagen steht 5 Tage in der Werkstatt – 5 x 65 Euro = 325 Euro.
4. Kosten für den Sachverständigen
Die Gutachterkosten gehören in jedem Fall zum Schaden und werden von der gegnerischen Versicherung übernommen – sofern Sie keine Schuld am Unfall tragen.
➡️ Tipp aus der Praxis: Nur bei sehr kleinen Bagatellschäden (unter 750 Euro) sollten Sie zuerst prüfen, ob ein Kurzgutachten oder Kostenvoranschlag reicht.
5. Abschleppkosten
Musste das Auto nach dem Unfall abgeschleppt werden, sind auch diese Kosten Teil der Schadenssumme.
➡️ Beispiel: Abschleppen von der Unfallstelle zur Werkstatt oder zum Gutachter – 150 bis 300 Euro.
6. Standkosten
Wenn Ihr Auto nach dem Unfall auf dem Gelände einer Werkstatt oder eines Abschleppdienstes steht, können Standgebühren entstehen.
Diese dürfen Sie ebenfalls geltend machen, bis das Gutachten erstellt oder das Fahrzeug begutachtet wurde.
7. Kosten für den Mietwagen
Wenn Sie ein Ersatzfahrzeug benötigen, zahlt die gegnerische Versicherung die Mietwagenkosten für den Zeitraum der Reparatur bzw. Begutachtung.
Alternativ können Sie sich auch für die Nutzungsausfallentschädigung entscheiden – beides gleichzeitig geht nicht.
8. Wiederbeschaffungsaufwand
Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden bekommen Sie den Wiederbeschaffungswert minus Restwert.
➡️ Beispiel: Ihr Auto war vor dem Unfall 10.000 Euro wert, der Restwert liegt bei 1.500 Euro – Sie erhalten 8.500 Euro.
9. Entsorgungskosten
Wenn das Auto nach dem Unfall nicht mehr repariert werden kann, gehören auch die Kosten für Entsorgung oder Abmeldung dazu.
Das sind oft kleinere Beträge (z. B. 50 bis 100 Euro), die Versicherungen aber häufig übersehen.
10. Kosten für Rechtsanwalt oder Kommunikation
Wenn Sie unverschuldet in den Unfall geraten sind, muss die gegnerische Versicherung auch die Anwaltskosten übernehmen.
Gerade bei fiktiven Abrechnungen kann ein Anwalt helfen, Kürzungen der Versicherung zu verhindern.
Auch Telefon- oder Portokosten für die Abwicklung können pauschal (meist 20 bis 30 Euro) angesetzt werden.
11. Kosten für Fahrzeugreinigung und Desinfektion
Nach Lack- oder Reparaturarbeiten darf auch die Fahrzeugreinigung Teil der Gesamtsumme sein.
Viele Werkstätten rechnen diesen Betrag automatisch ein, auch bei fiktiver Abrechnung ist das zulässig.
12. Kosten für zusätzliche Prüfungen
Wenn durch den Unfall zum Beispiel eine Achsvermessung, Kalibrierung der Fahrassistenzsysteme oder ein Diagnosetest nötig wäre, werden diese im Gutachten aufgeführt und können abgerechnet werden.
➡️ Beispiel: Bei modernen Fahrzeugen mit Kameras oder Sensoren sind solche Zusatzprüfungen häufig nötig.
13. Pauschale Nebenkosten
Für Porto, Telefon, Fahrten zur Werkstatt oder Gutachter kann eine Unkostenpauschale von etwa 25 Euro geltend gemacht werden.
Das wird fast immer anerkannt.
14. Kosten für Ersatzteile, Kleinteile und Lackmaterialien
Diese sogenannten Materialkosten sind im Gutachten oft als Prozentsatz aufgeführt (z. B. 10–15 % der Reparatursumme).
Sie werden ebenfalls bei der fiktiven Abrechnung berücksichtigt.
Vorteile der fiktiven Abrechnung
1. Kein Reparaturzwang: Sie entscheiden selbst, ob und wann Sie reparieren.
2. Sofortige Auszahlung: Sie bekommen Ihr Geld schneller.
3. Flexibilität: Sie können das Auto verkaufen, selbst reparieren oder das Geld für etwas anderes nutzen.
4. Volle Entschädigung: Sie erhalten den Betrag bis zum Wiederbeschaffungswert, sofern kein Totalschaden vorliegt.
Nachteile und mögliche Probleme
Keine Mehrwertsteuer-Erstattung: Die Versicherung zahlt nur den Netto-Betrag.
Diskussion mit der Versicherung: Manche Versicherer versuchen, niedrigere Werkstattpreise anzusetzen.
Spätere Reparatur kann teurer werden: Wenn Sie später doch reparieren, müssen Sie die Mehrwertsteuer selbst tragen.
Rechtliche Grundlagen
Die fiktive Abrechnung ist in § 249 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit mehreren Urteilen klargestellt, dass Geschädigte frei wählen dürfen, ob sie reparieren oder sich das Geld auszahlen lassen (z. B. BGH VI ZR 53/09).
Wichtig in der Praxis
Die Versicherung darf bei der Kalkulation keine beliebigen Billigwerkstätten ansetzen, wenn Sie ein relativ neues Auto besitzen.
Bei älteren Autos darf die Versicherung auf günstigere Stundenverrechnungssätze freier Werkstätten verweisen. Das nennt man Werkstattverweis. Voraussetzung ist, dass die vorgeschlagene Werkstatt technisch gleichwertig, in der Nähe und für Sie zumutbar ist. Wenn Ihr Fahrzeug jedoch regelmäßig in einer Markenwerkstatt gewartet wurde oder noch relativ neu ist, dürfen Sie weiterhin mit den höheren Stundensätzen der Vertragswerkstatt abrechnen.
Typische Streitpunkte mit Versicherungen
Aus unserer täglichen Arbeit als Kfz Gutachter wissen wir:
Versicherungen prüfen fiktive Abrechnungen sehr genau. Häufige Diskussionen gibt es über:
Die Höhe der Stundensätze
Wertminderung bei älteren Autos
Nutzungsausfall
Abzüge wegen angeblicher Vorschäden
Ein fachlich korrektes Gutachten schützt Sie hier vor unberechtigten Kürzungen.
Unsere Empfehlung
Beauftragen Sie einen unabhängigen Gutachter. Nur so ist sichergestellt, dass Ihr Schaden vollständig dokumentiert ist.
Kommunizieren Sie mit der gegnerischen Versicherung über einen Experten oder Anwalt.
Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen. Sie haben das Recht auf eine fiktive Abrechnung.
Entscheiden Sie in Ruhe, ob Sie das Auto reparieren lassen möchten oder nicht.
In vielen Fällen konnten wir unseren Kunden helfen, mehrere hundert Euro mehr zu erhalten, weil ihr Gutachten korrekt und vollständig war.
Häufige Fragen (FAQ)
Welche Kosten übernimmt die gegnerische Versicherung?
Alle im Gutachten aufgeführten Reparaturkosten ohne Mehrwertsteuer, plus Wertminderung und Gutachterkosten.
Kann ich später trotzdem reparieren lassen?
Ja. Sie können die Reparatur jederzeit durchführen, auch wenn Sie das Geld bereits erhalten haben.
Was passiert bei einem Totalschaden?
Sie bekommen den Wiederbeschaffungswert minus Restwert ausgezahlt.
Was ist mit der Mehrwertsteuer?
Die gibt es nur, wenn Sie wirklich reparieren oder Ersatzteile kaufen und Rechnungen vorlegen.
Ist das bei Leasingfahrzeugen möglich?
Nur, wenn der Leasinggeber zustimmt, da ihm das Fahrzeug gehört.
Fazit
Die fiktive Abrechnung gibt Ihnen als Geschädigtem mehr Freiheit und Kontrolle. Sie müssen Ihr Auto nicht zwingend reparieren und können sich trotzdem entschädigen lassen.
Wichtig ist nur: Ein unabhängiges Gutachten und klare Kommunikation mit der Versicherung.
Aus unserer Erfahrung zahlt sich das fast immer aus, im wahrsten Sinne des Wortes.
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Claudio Santini ist erfahrener Kfz-Gutachter und Leiter des Sachverständigenbüros Kravex in Köln-Lindenthal.
Seit über zehn Jahren ist er in der Automobilbranche tätig, davon mehr als sechs Jahre bei R&S Automobile / Ford, wo er die Fahrzeugwelt von Grund auf kennengelernt hat.
Heute unterstützt er mit seinem Team Unfallgeschädigte dabei, ihre Ansprüche vollständig und fair durchzusetzen – unabhängig, kompetent und zuverlässig.
Als echter Kölner kennt er nicht nur die Straßen der Stadt, sondern auch die Abläufe der Versicherungen – und nutzt dieses Wissen täglich, um für seine Kunden das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.



